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Der richtige Sattel – Die Qual der Wahl
Der richtige Sattel – Die Qual der Wahl
Von Tier-Therapie-Zentrum in Allgemeine Tierthemen veröffentlicht 24. Juli 2016 0 Kommentare

Hat Ihr Pferd beim Satteln schon einmal nach Ihnen geschnappt, die Ohren angelegt oder gegen den Bauch getreten? Knirscht es mit den Zähnen, drückt den Rücken nach unten weg oder bläst sich auf? Durch einen schlecht sitzenden Sattel können nicht nur solche – so genannte – Unarten ausgelöst werden, sondern diverse gesundheitliche und reiterliche Probleme. Hatte Ihr Pferd unklare, wechselnde Lahmheiten, Sehnenprobleme oder starke Verspannungen, deren Ursache vom Tierarzt nicht festgestellt werden konnte? Oder ist Ihr vierbeiniger Freund ein so genannter Headshaker? Schlägt Ihr Pferd beim Reiten oft mit dem Schweif, kann es nicht weit genug untertreten oder hat es allgemein „keine Lust“ zur Arbeit?

Kleiner Tipp: schieben Sie diese Probleme nicht auf die Launen des „blöden Gauls“, sondern lassen Sie so schnell wie möglich Ihren Sattel kontrollieren! Auf diese Weise können Sie Ihrem Pferd – oder als Tierheilpraktiker Ihrem Patienten – dieses oft unbewusst zugefügte Leid ersparen. Mit ein bisschen Know-how ist es nicht allzu schwer, die Passform des Sattels selbst zu überprüfen. Ein geschultes Auge, das weiß, worauf es achten muss, kann Probleme schon im Ansatz erkennen. So können Sie Ihren Sattel im Falle eines Falles vom Fachmann schnellstmöglich den veränderten Gegebenheiten am Pferderücken anpassen lassen.


Wie erkennt man, ob der Sattel passt?

Zuallererst stellt sich also die Frage: Wo ist auf dem Pferderücken überhaupt Platz für den Sattel? Die Sattellage des Pferdes ist begrenzt durch den Rand des Schulterblatts vorne und den 18. Rückenwirbel hinten. Das Schulterblatt sollte in der Bewegung genügend Platz haben. Klassische Sättel müssen daher weit genug dahinter aufgelegt werden, bei Westernsätteln muss die Kammerweite der Bewegung des Schulterblattes genügend Platz bieten. Nach dem 18. Rückenwirbel, an dem die letzte Rippe ansetzt, beginnt der kurze, bewegliche Teil des Pferderückens, der Lendenwirbelbereich, der keine Unterstützung hat. Hier sollte ein Sattel in keinem Fall noch aufliegen, da sonst die Beweglichkeit der Wirbelsäule und des Beckens sowie der Hinterbeine nachhaltig eingeschränkt und gestört werden. Nach der Lehre der Traditionellen Chinesischen Medizin liegt in diesem Bereich außerdem der Zustimmungspunkt der Niere, der, bringt man ihn ins Ungleichgewicht, den gesamten Organismus stören kann. Ein Hinweis an die Westernreiter unter Ihnen: Westernsättel reichen zwar oft in den Lendenwirbelbereich hinein, liegen dort aber normalerweise nicht mehr mit Gewicht auf, so dass sie, obwohl optisch zu lang, meist weniger störend sind als zu lange klassisch englische Sättel.

Die zweite Frage, die man sich als Laie in Sachen Sattel stellt, ist wohl diese: Wie sieht man, ob ein – klassisch englischer – Sattel passt? Idealerweise sollte ein Sattel das Reitergewicht optimal auf dem Pferderücken verteilen und gleichzeitig dem Reiter sicheren Halt auf dem Pferd geben. Um die korrekte Lage des Sattels zu beurteilen, muss man folgende Kriterien durchchecken.


Der richtige Sitz eines Sattels

Der Sattelbaum, das innere Gerüst des Sattels, muss in seiner Form der Rückenlinie des Pferdes entsprechen. Zwischen dem Schulterblatt des Pferdes und dem vorderen Ende der Sattelkammer, dem Ortende, müssen mindestens zwei Querfinger Platz haben. Wenn man das Bein des Pferdes von einem Helfer nach vorne ausstrecken lässt, wobei das Schulterblatt am Rumpf entlang ein Stück nach hinten wandert, sollte man immer noch die flache Hand zwischen Sattel und Schulter des Pferdes schieben können, ohne ein Druckgefühl zu haben. Wichtigstes Symptom, wenn der Sattel hier zu eng ist: der Rückenteil des Trapezmuskels wird eingeklemmt, bildet sich zurück und das Pferd bekommt einen sehr schmalen, hohen Widerrist. Oft sieht man hinter dem Widerrist auch schon eine richtige Kuhle – Zeichen dafür, dass hier der Trapezmuskel wegen eines zu engen Sattels bereits länger atrophiert ist.

Über dem Widerrist sollten mindestens drei Querfinger zwischen Sattelkammer und Pferd passen, wenn der Sattel angegurtet, aber nicht belastet ist. Ein weiteres Kriterium für die Passform des Sattels ist der richtige Tiefpunkt. Man ermittelt ihn, indem man einen Stift quer auf die Sitzfläche legt und ihn zur tiefsten Stelle rollen lässt. Stellt man sich dann seitlich neben das Pferd mit Blick auf die Sattellage, sollte der Tiefpunkt genau in der Mitte der Sitzfläche liegen. Ist er vor oder hinter der Mitte, ist der Sattel in der Kammer zu weit oder zu eng. Ausnahmen sind einige Gangpferdesättel und Barocksättel, deren Schwerpunkt absichtlich weiter hinten liegt. Wichtigste Symptome bei einem falschen Tiefpunkt sind Haarbruch im hinteren Bereich der Sattellage, weiße Haare oder Weglaufen des Pferdes beim Aufsitzen und deutliches Wegdrücken des Rückens unter dem Reitergewicht.

Ob der Verlauf der Sattelkissen zum Rücken des Pferdes passt, kann man ebenfalls selbst prüfen. Haben die Kissen mehr Wölbung als der Rücken, schaukelt der Sattel, haben sie zu wenig Wölbung, bildet der Sattel eine Brücke und es entstehen Druckpunkte am vorderen und hinteren Ende der Auflagefläche. Betrachtet man den Sattel von hinten, sollten die Kissen weit genug auseinander liegen, um die Wirbelsäule völlig frei zu lassen. Das ist meist zwischen drei und vier Fingerbreit. Außerdem sollten sie rechts und links gleich hoch sein und bequem mit ihrer gesamten Fläche am Rücken aufliegen. Die Beschaffenheit der Kissen kann man kontrollieren, indem man mit den Fingerspitzen und der ganzen Hand über die Auflagefläche der Polsterung fährt. Sind dort Löcher, Unebenheiten oder Knötchen zu spüren, sollte das Polster vom Fachmann ausgeglichen werden. Insgesamt sollte die Polsterung nachgiebig sein, aber nicht zu weich. Klassische Symptome bei zu enger Kammer oder unebenen Kissen sind „Unarten“ wie Bocken oder Steigen und ebenfalls ein nach unten weggedrückter Rücken.


Was ist der Kreidetest?

Beim Reiten kann man mit dem „Kreidetest“ feststellen, ob die Sattelkammer, die Rinne zwischen den zwei Kissen, irgendwo auf dem Rücken aufliegt: einfach die gesamte Kammer mit Kreide ausmalen und ohne Satteldecke eine Runde reiten. Ist die Kreideschicht danach noch vollständig, berührt der Sattel die Wirbelsäule nicht – es ist also alles in Ordnung. Generell gibt der Schweißabdruck über die Passform des Sattels Auskunft: Wurde das Pferd gearbeitet, sollte die Sattellage danach gleichmäßig verschwitzt sein. Trockene Stellen können darauf hinweisen, dass der Sattel dort zu eng ist und die Schweißdrüsen durch den punktuell größeren Druck nicht mehr funktioniert haben.

Und wie sollte ein Westernsattel sitzen? Generell gelten für Westernsättel ähnliche Kriterien wie für klassisch englische Sättel. Als ursprünglicher Arbeitssattel für lange Ritte ist ein Westernsattel bis heute darauf ausgelegt, das Reitergewicht auf einer möglichst großen Fläche zu verteilen. Er liegt weit nach vorne gezogen auf dem Schulterblatt und sollte deshalb in der Kammer unbedingt weit genug sein. Der Sattelbaum liegt auf beiden Seiten des Widerristes sehr tief auf und hat so eine sehr stabile Lage. Er sollte jedoch über dem Widerrist hoch genug sein, im angegurteten Zustand sollten mindestens zwei bis drei Fingerbreit Platz zwischen Widerrist und Fork sein. Die weitere Auflagefläche wird wie beim englischen Sattel beurteilt: man fährt, ohne vorher zu gurten, mit der flachen Hand zwischen Pferderücken und Sattel durch. Ist an einer Stelle mehr Druck zu spüren, passt die Form des Sattels nicht. Bei kompakten, kurzen Pferden hat der Rücken nicht so viel Platz für einen Sattel, man sollte deshalb auf abgerundete Lederecken hinten, so genannte Round Skirts, achten. Andernfalls stößt das Sattelleder in der Biegung an die Hüfthöcker des Pferdes und verursacht Schmerzen. Das Pferd wird seine Hinterhand immer weniger aktiv einsetzen und im Galopp nicht mehr durchspringen, sondern einen gelaufenen Vierschlag zeigen. Für die meisten Sattelmodelle gilt außerdem: gurtet man den Sattel fest, darf er ohne Reiter am hinteren Ende ein oder zwei Fingerbreit in die Luft kommen. Setzt sich der Reiter dann in den Sattel, kommt der Sattel auch hinten auf den Pferderücken und die Schulter hat genügend Bewegungsfreiheit.


Für eine Korrektur ist es nie zu spät!

Besser spät als nie! Wenn Sie einen schlecht sitzenden Sattel als Auslöser für bisher unerklärliche Probleme feststellen, heißt es reagieren. Eine einfache Lösung gibt es allerdings nicht, es sind immer mehrere Schritte nötig, die Hand in Hand gehen müssen, um das Problem aus der Welt zu schaffen. Als erstes muss der Sattel angepasst oder eventuell ein neuer – oder ein vorübergehender – Sattel angeschafft werden. Dann muss das Pferd behandelt werden. Akupunktur, Osteopathie, Meridianbehandlungen und Homöopathie helfen, die vorhandenen Schmerzen und Anhaftungen schnell zu beseitigen und dem Pferd wieder Freude an der Arbeit zu vermitteln. Merke: Der Abbau eines Muskels dauert nur wenige Wochen, der Aufbau dagegen mehrere Monate – und ohne therapeutische Hilfe hilft auch ein geänderter oder neuer Sattel nichts! Richtiges Arbeiten für die jeweiligen Muskelgruppen ist ebenso unerlässlich wie die Therapie. Die richtig ausgeübte Dressurarbeit, egal welcher Reitweise, ist Gymnastik für das Pferd und gerade in der Aufbauphase der geschädigten Muskulatur neben entspannenden Ausritten das Mittel der Wahl.

Und noch einmal
Schlecht sitzende Sättel haben weit reichende Folgen!

Oft sind es nur kleine Mängel an der Passform eines Sattels, die auf lange Sicht zu Verspannungen, Lahmheiten und Muskelschwund führen. Im Anfangsstadium hat das Pferd zwar keine Schmerzen, der Muskel kann sich aber trotz Training nicht weiter aufbauen, wenn an einer bestimmten Stelle zu viel Druck auf ihm lastet. Wenn der Druck bestehen bleibt, wird daraus schnell Muskelschwund. Bleibt dieser unbeachtet, sitzt der Sattel früher oder später auf den frei liegenden Nervenenden der betroffenen Region. Der Rücken wird äußerst empfindlich und das Pferd gewöhnt sich Vermeidungshaltungen an, beginnt zu lahmen, geht nicht mehr durchs Genick, schleift die Füße hinterher, hat Gurtzwang, rennt beim Aufsteigen weg, ist plötzlich in der Gurtlage „kitzlig“ und so weiter. Ein so weit geschädigter Rücken ist nicht leicht wieder aufzubauen. Oft ist, bevor überhaupt ein neuer Sattel angepasst werden kann, eine völlige Bewegungs-Umerziehung des Pferdes nötig, damit die Muskulatur sich wieder regenerieren kann.

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